„Bei mir überwiegt die Freude, wieder auf dem Platz zu stehen“
Stuttgart. Nach zwei Wochen Quarantäne bleiben Angelique Kerber nur noch wenige Tage, um wieder richtig fit zu werden für die Australian Open. Im Interview mit dem Porsche Newsroom erzählt sie, wie sie die Zeit allein im Hotelzimmer verbracht hat, wie sie jetzt trainieren wird und mit welchen Erwartungen sie in das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres geht, das am 8. Februar in Melbourne beginnt. „Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, große Ziele zu formulieren“, sagt die Porsche-Markenbotschafterin und zweifache Gewinnerin des Porsche Tennis Grand Prix. „Ich freue mich einfach nur darauf, vor den tollen Fans wieder auf dem Platz zu stehen. Das werde ich in vollen Zügen genießen.“
Angelique, was war das für ein Gefühl, als Sie Ihr Hotelzimmer Freitagnacht nach 14 Tagen erstmals verlassen durften?
„Es war ein schönes, befreiendes Gefühl, an die frische Luft zu kommen und um Mitternacht noch die ersten Bälle schlagen zu können. Melbourne ist eine meiner Lieblingsstädte auf der Tour. Umso mehr habe ich mich gefreut, endlich richtig anzukommen und die Skyline nicht nur durch die Fensterscheibe zu erleben. Für mich gilt jetzt, in kurzer Zeit und mit nur wenigen Einheiten auf dem Tennisplatz in den Schlag zu kommen und die Tage bis zu den Australian Open gut zu nutzen.“
Wie haben Sie die ersten Tage nach der Quarantäne verbracht?
„Wegen der kurzen Vorbereitungszeit stehen für mich die Trainingseinheiten auf dem Platz ganz klar an erster Stelle. Darauf liegt mein Fokus. Da wir uns in Melbourne frei bewegen können und alle Restaurants und Geschäfte geöffnet sind, war es eine schöne Abwechslung, mit meinem Team mal wieder essen gehen zu können. Ein Abstecher nach St Kilda Beach war, wie jedes Jahr, auch mit dabei.“
Sie haben sich sehr intensiv auf die Australian Open vorbereitet. Wie gut haben Sie sich gefühlt, wie groß war die Vorfreude?
„Die Vorfreude auf den Saisonstart in Australien ist immer groß. Die Aussicht, wieder vor begeisterten Fans in dem Stadion spielen zu können, in dem ich 2016 meinen ersten Grand-Slam-Sieg feiern konnte, hat mich in den letzten Wochen motiviert, im Training an meine Grenzen zu gehen. Durch die Verschiebung des Tour-Starts hatte ich diesmal auch deutlich mehr Vorbereitungszeit als gewohnt. Jetzt muss ich aber realistisch sein und sehen, was ich nach den zwei Wochen ohne Schläger in der Hand aufholen kann.“
Was bedeutet es für einen Leistungssportler, vor dem ersten Saisonhöhepunkt zwei Wochen nicht trainieren zu können? Wie haben Sie das zu kompensieren versucht?
„Das ist natürlich alles andere als ideal. Ich habe zwar versucht, durch tägliche Workouts im Hotelzimmer nicht zu viel von meiner Grundfitness zu verlieren, aber die Einheiten auf dem Platz sind durch nichts zu ersetzen, schon gar nicht vor einem Grand Slam. Die kurzen Sprints, tennisspezifischen Bewegungsabläufe, die Wiederholungen in den Schlägen und die Matchpraxis – das geht alles ein Stück weit verloren. Trotzdem habe ich versucht, das Beste aus der Situation zu machen. In meinem Zimmer hatte ich eine kleine Fitness-Ecke mit Matte, Hanteln, Medizinball sowie einem Laufband. Das war natürlich sehr hilfreich.“
Wie sind Sie mit dieser Situation zurechtgekommen? Was haben Sie gemacht?
„In den letzten Jahren habe ich gelernt, gelassener zu bleiben und mich nicht über Dinge aufzuregen, die ich sowieso nicht ändern kann. Dadurch bin ich jetzt auch mit dieser Situation ganz gut zurechtgekommen. Ich habe sie von Anfang an akzeptiert. Es gibt in Zeiten von Corona so viele Menschen, die schwere Schicksalsschläge erleiden und um ihre Existenzen bangen. Dagegen sind zwei Woche Quarantäne in einem Hotelzimmer nichts, worüber man sich beschweren sollte. Ich habe versucht, den Tagen eine feste Struktur zu geben, mit regelmäßigen Fitnesseinheiten und willkommenen Ablenkungen wie den Netflix-Serien ‚The Crown‘ und ‚The Queen’s Gambit‘.“
Wie haben Sie Ihren Geburtstag am 18. Januar gefeiert? Wir haben gehört, Sie haben sehr viel telefoniert?
„Auch hier musste ich ein bisschen improvisieren. Immerhin war es ein Geburtstag, den ich so schnell nicht vergessen werde. Da ich das Hotelzimmer in der Quarantäne nicht verlassen konnte, habe ich mit vielen Freunden über Facetime gesprochen und mir die Zeit genommen, alle lieben Nachrichten zu lesen und zu beantworten.“
Wie hat sich der Veranstalter der Australian Open um Sie gekümmert?
„Ich kann nur staunen, was die Turnierorganisatoren in dieser Zeit geleistet haben. Das war eine echte Herkulesaufgabe, die sie mit Freundlichkeit und Engagement den Spielerinnen und Spielern gegenüber bewältigt haben. Wir wurden jeden Tag im Rahmen von Telefonkonferenzen über die neuesten Entwicklungen informiert. Wegen der strikten, jedoch völlig gerechtfertigten Quarantänebestimmungen der australischen Regierung wurden wir jeden Tag getestet.“
Mit der Grampians Trophy startet am Mittwoch ein zusätzliches Vorbereitungsturnier eigens für die Quarantäne-Spielerinnen. Werden Sie spielen?
„Prinzipiell halte ich das für eine gute Lösung. Vor einem Grand Slam ist es sehr wichtig, Spielpraxis zu sammeln. Doch für mich geht es im ersten Schritt jetzt erstmal darum, in den wenigen Trainingseinheiten nach der Quarantäne meinen Rhythmus zu finden und mich wieder an die Belastung auf dem Platz zu gewöhnen. Training und Wettkampf ist ein großer Unterschied. Entscheidend ist für mich, wie mein Körper auf die steigende Trainingsintensität reagiert. Soweit fühle ich mich aber ganz gut und bin auch für das Turnier gemeldet.“
Die Spielerinnen ohne Corona-Fall im Flugzeug durften ihr Hotelzimmer zum täglichen Training verlassen. Kann man da noch von Chancengleichheit sprechen?
„Die Voraussetzungen in den zwei Gruppen waren in der Tat sehr unterschiedlich. Das bestreitet auch keiner. Ich für mich habe es akzeptiert und finde es wenig hilfreich, sich groß darüber aufzuregen. Vielmehr sollten wir alle froh sein, dass die Australian Open überhaupt stattfinden.“
Welche Erwartungen haben Sie jetzt noch für das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres?
„Ich sehe das realistisch. Jetzt ist ganz gewiss nicht der Zeitpunkt, um große Ziele zu formulieren. Ich werde alles versuchen, bis zum Start der Australian Open so viel von meinem Trainingsrückstand aufzuholen wie möglich. Vor allen Erwartungen überwiegt bei mir die Freude, wieder auf dem Platz zu stehen.“
Die Australian Open waren immer eines Ihrer Lieblingsturniere. Hat sich daran etwas geändert?
„Ganz und gar nicht. Die Australian Open haben in meiner Karriere einen besonderen Stellenwert. Sie sind ein Herzensturnier von mir, mit vielen schönen Erinnerungen, vor allem natürlich an 2016, als ich in Melbourne meinen ersten Grand Slam gewinnen konnte. Die australischen Fans haben mich in den letzten Jahren immer herzlich empfangen und unterstützt. Das war für mich mit der entscheidende Grund dafür, in der jetzigen Zeit überhaupt nach Australien zu fliegen.“
Wie geht es nach Melbourne weiter? Was sind für Sie die nächsten Highlights?
„Mein Fokus liegt, wie schon in den vergangenen Jahren, auf den großen Turnieren. Da wir uns aber noch inmitten der Pandemie befinden, ist es nicht einfach, die Saison weit im Voraus zu planen. Von daher habe ich mir mit meinem Team nur Etappenziele gesteckt und konzentriere mich jetzt erstmal voll auf diese Australian Open. Danach sehen wir weiter.“
Auf welche Turniere, neben den Grand Slams, freuen Sie sich denn besonders?
„Ganz besonders freue ich mich auf die Turniere in Deutschland, angefangen mit dem Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart im April. Ich hoffe sehr, dass wir die Pandemie bis dahin einigermaßen unter Kontrolle bekommen. Es wäre unglaublich schön, die Fans in der Porsche-Arena bald wieder zu sehen, sofern das in einer sicheren Umgebung möglich ist. Wir können uns überhaupt glücklich schätzen, dass die Veranstalter trotz der schwierigen Rahmenbedingungen Turniere anbieten. Gesellschaftlich haben wir es aktuell mit größeren Herausforderungen zu tun, und der Sport steht gewiss an zweiter Stelle. Dennoch ist das auch ein Schritt zurück zur Normalität, solange die Sicherheit aller Beteiligten gewährleistet ist.“